Weihnachtliche Medienkompetenz

Weihnachten – eine besinnliche Zeit. Weihnachten – ein Fest. Weihnachten – Konsum und Absatzmarkt. Weihnachten – Corporat Identity – und der unbedarfte Konsument mit offenem Mund vor der Youtube-Werbung.

 

Die vorgeschalteten Werbeclips auf Youtube kennt man, klickt man weg, sobald man die 5 Sekunden heruntergezählt hat und der Button „Übersprin…“ – und zack! – Endlich – mein – Content.

Anders vielleicht, wenn einem eine geahnte Mischung aus „I am Legend“, „Oblivion“ und ähnlichen Derivaten der filmischen Zunft vorgeschaltet wird; man weiß, wie man das Überspringen verhindert, man weiß, was man tut, woran man sich orientiert. Soundtrack, Klangkulisse, Schnitt, Farbe, Plot: auf den ersten – ungeschulten – Blick nur noch in Wenigem entfernt vom geahnten filmischen Setting der Blockbuster. – Auch für mich.

Werbeclips. – Blockbuster!

Dem Werk ist dementsprechend mit der nötigen Haltung zu begegnen: Popcorn (süß oder salzig), Nachos (Käse-Sauce oder doch Salza), Softdrink oder Bier; die 3D-Vorführung fällt heute leider aus. – Dennoch: Zurücklehnen, abholen lassen, entführt werden. Licht aus, Film ab!

In 3 Minuten 53 Sekunden zu Edeka.

In 1 Minute und 55 Sekunden zu Penny.

Willkommen zurück in der schnöden Wirklichkeit dieses Blogs, der auch ohne Liebe ein Fest sein will und der im Moment des letzten Tastenanschlags dieses Beitrags sicher nicht an Versöhnung denkt. – Ta-da.

Dass die Unternehmen ihr Handwerk ganz grundsätzlich verstehen, die emotionalisierten Clip-Buster-Blocks also kein Zufallstreffer sind, beweist ein kurzer Blick in ähnliche Angebote:

Dort versteht man sich und seine Kunden als Herren des Feuers, versteht man sich als „(o)ffizieller Ausrüster eines Traums“ und dass Kinder und animierte Tierwelten immer gehen, versteht sich dann auch noch von selbst.

Und ganz plötzlich kommt nicht mehr nur die schnöde Wirklichkeit dieses Blogs daher. Dann kommt unweigerlich auch die schnöde Wirklichkeit der Bildungsanstalt ins ungleiche Spiel: Angesichts der vorgeführten Spots – Penny, Edeka, Real, Netto – scheinen in der Bildungsanstalt gänzlich andere Geschütze gefragt zu sein, als derzeit an der medialen Front zum Einsatz kommen (wer an dieser Stelle meint, die Anleihen beim kriegerischen Vokabular seien überzogen, dem sei u.a. die „Wirtschaft am Mittag“ des Deutschlandfunks von und mit Günther Hetzke empfohlen; bspw. ein Beitrag über die Aufrüstung im Weihnachtsgeschäft) – Fronteinsatz in der Bildungsanstalt also: Zeitungsprojekt, Whatsapp-Crash-Kurs und auch die wiederkehrende, vielbeschworene Filmanalyse bewegen sich weitgehend entfernt von der Perfidie der weihnachtlichen Werbefilm-Industrie. Dieses Feld darf nicht ahnungslos und hilflos geräumt werden: Hier braucht es öffentliches Wirken in die individuelle Lebenswirklichkeit hinein, damit dem Interesse der Privatwirtschaft ein öffentliches Interesse entgegengestellt werden kann.

Es kann nicht reichen, wenn der lange, kräftige Schatten der Hollywood-Commercials sich über die luftigen, gedruckten Seiten der regionalen Tageszeitung legt; und das trotz der besprochenen Online-Angebote der überregionalen F.A.Z. und der SZ.

Es kann nicht reichen, wenn der Roboter mit Herz das Mobbing-Potenzial von Whatsapp und die Selbstbestimmung bei Facebook überrollt.

Es kann nicht reichen, wenn im Rahmen der Filmanalyse Mahlers 3. und 5. Sinfonie in Luchino Viscontis „Tod in Venedig“ an den Ohren junger Menschen zerschellt.

Und nein, natürlich muss deshalb die mediale Fundgrube der Bildungsanstalt nicht ganz in Frage gestellt werden. Und ja, in den skizzierten Realitäten liegen selbstverständlich auch die Grundkompetenzen, die Abwehrkräfte und das Rückgrat einer Gesellschaft.

Doch nur eine Film-Sekunde aus den Augen zu verlieren, dass man einer Übermacht gegenübersteht, bedeutete den Verlust einiger wichtiger Versorgungswege. Diese Übermacht greift früh zu, sie greift ungefragt zu, sie hat das Geld, die Motivation und die kapitalistische Not der Konkurrenz, sich festzusetzen in den Köpfen der zahlenden Kundschaft: der elterlichen wie der zukünftigen aus der Bildungsanstalt. – Man muss wissen, dass Konzerne hier auf Einkaufstour sind.

Eine weitere Unumstößlichkeit im ungleichen Spiel muss man sich ins Bewusstsein rufen, manchem auch hineinschreien:

Das alles kann vor allem dann nicht reichen, wenn nach 13 Jahren ein kritischer, mündiger, medial geschulter, grundgefestigter und aufgeklärter junger Mensch in die Welt entlassen werden soll, der mit Leichtigkeit über und durch die mediale Konsumbeschallung hinweg unterscheiden kann zwischen filmischer und kommerzialisierter Qualität, zwischen künstlerisch-ästhetischem und kapitalistisch-ökonomischem Anspruch. Das hat unmittelbar gesellschaftliche Relevanz.

„Ohne Liebe ist es nur ein Fest.“ – Ohne Liebe ist es einfach nur Edeka, ein Konzern.

„Erstmal zu Penny.“ – Erst einmal zur Medienkompetenz! – Sie braucht Zeit, Raum, Personal, Lehrplan. – Investitionen.

Am Ende steht die Hoffnung, dass derjenige, der aus eigener Klein-Produktion innerhalb des angeleiteten Faches – mittwochs in der 3. und 4. Stunde z.B. –  während der eigenen Kamerafahrt buchstäblich erfahren hat, wie man einen Kurzfilm à la Edeka und Penny auf die Leinwand bringt, auch derjenige ist, der anschließend mit anderen Augen sieht und mit wachen Augen schaut; kurz bevor er auf „Übersprin…“ – und zack!

Jan, nicht Gu.

Hier dann hintergründige Informationen zur Aufmerksamkeitsökonomie unserer Tage.
 

Ein Kommentar zu „Weihnachtliche Medienkompetenz

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